Weingarten wird kein sicherer Hafen – Schade!

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In der Sitzung des Gemeinderats am Montag wurde der Antrag unserer Fraktion abgestimmt, dass „die Stadt Weingarten sich solidarisch mit der Initiative „Seebrücke – Schafft sichere Häfen!“ zeigt und sich symbolisch für eine humanitäre Migrationspolitik bei der Aufnahme aus Seenot geretteter Geflüchteter einsetzt.“ Der Antrag wurde mit einer Mehrheit von 12:11 vom Gremium abgelehnt.

Der Abstimmung voraus ging eine Debatte, die in großen Teilen nicht vom Kern des Antrags und dessen Inhalt bestimmt wurde, sondern von Verfahrensdiskussionen, Anschuldigungen und Schuldzuweisungen geprägt war. Den Sitzungsverlauf kann man gut in der Schwäbischen oder anderen Posts nachlesen. Auf das Niveau wollen wir uns aber nicht begeben – das verdient dieser aus unserer Sicht sehr wichtige Antrag und vor allem sein Inhalt einfach nicht. 

Die Solidaritätserklärung mit der Seebrücke – Schafft sichere Häfen! haben bereits 200 Kommunen aus Deutschland unterzeichnet. Sie möchten damit ein Symbol an die Bundesregierung und die europäischen Entscheidungsträger*innen setzen, dem Sterben auf dem Mittelmeer nicht mehr sehenden Auges zuzusehen und die zivile Seenotrettung nicht mehr zu kriminalisieren. Ferdinand Ganter aus unserer Fraktion hat dies in seiner Rede auf der Sitzung am Montag erläutert:

„Früher ist Europa selbst der Pflicht nachgekommen, den europäischen Teil des Mittelmeers durch eigene Boote zur Seenotrettung abzudecken. Vor einiger Zeit entschied sich Europa dazu, diese […] Verantwortung an die sogenannte Libysche Küstenwache abzutreten. […] Libyen ist ein gescheiterter Staat, der zwar von Europa die Gelder und die Ausbildung zur Seenotrettung erhält, jedoch die “geretteten” Menschen anschließend schlägt, misshandelt und foltert. […] Es gibt Berichte von geflüchteten Menschen, die von der sogenannten Libyschen Küstenwache als Sklaven verkauft und in KZ – ähnlichen Lagern gefangen gehalten wurden. Mord, Folter und Vergewaltigung geschehen dort täglich. Die sogenannte libysche Küstenwache stört bei Rettungseinsätzen der NGOs. Sie schreien und machen bewusst Lärm, so dass die NGO´s die Hilfeschreie der Ertrinkenden nicht hören können. Sie bewerfen die Boote der NGO´s und der geflüchteten Menschen mit Gegenständen, nehmen die Schiffe unter Beschuss oder entern sie sogar.

In Europa erwartet die NGOs häufig eine rechtliche Verfolgung, ihnen wird Schlepperei vorgeworfen. Und das obwohl sie auf See nur nach dem seemännischen Gesetz handeln, Menschen vor dem Ertrinken retten und diese in den nächstgelegenen Sicheren Hafen bringen. Dass dieser nächste Sichere Hafen nicht Libyen sein kann und darf, sollte spätestens nach meinen eben genannten Schilderungen hier nun wirklich nicht mehr zu Debatte stehen.
Wir fordern von der Politik, dass die Libysche Küstenwache nicht mehr weiter von Europa gesponsert und dass die NGOs nicht mehr weiter kriminalisiert werden.“

Warum gerade besonders Weingarten aus unserer Sicht ein sicherer Hafen sein sollte, erläuterte Ferdinand in seiner Rede ebenfalls: „Wir haben hier in Oberschwaben oft nicht die Möglichkeit, Hilfe vor Ort zu leisten. Wir können nur schwer mit einem eigenen Boot rausfahren oder direkte Hilfe leisten, aber wir haben hier die Möglichkeit aufzuzeigen, dass Menschen nur wenige Flugstunden entfernt auf der Flucht ertrinken.
Wir möchten, dass Europa den Ertrinkenden nicht weiter zuschaut und sie im Stich lässt. Europa soll auch diesen Menschen ihre fundamentalen Menschenrechte gewährleisten.
Auch dürfen am Mittelmeer liegende Staaten wie Griechenland, Italien und Spanien nicht weiter im Stich gelassen werden.
Weingarten liegt zwar beinahe am schwäbischen Meer, jedoch nicht am Mittelmeer. Das Sprichwort “Aus den Augen, aus dem Sinn” dürfte die Haltung mancher gegenüber den Menschenrechtsverletzungen an den Grenzen von und in Europa wohl am besten beschreiben.
Häufig sind es, egal ob im Internet oder am Stammtisch, die Gegner der privaten Seenotrettung, die sich am lautesten äußern und für sich die Vertretung der Mehrheit beanspruchen. Dabei lohnt es sich, auch anderen Meinungen der Bevölkerung, sprich der Mehrheit, die die Gegner für sich beanspruchen, zuzuhören.
Eine Umfrage der FAZ im Jahre 2018 ergab, dass “75 Prozent der Deutschen [..] es demnach richtig [finden], dass private Hilfsorganisationen Flüchtlinge im Mittelmeer retten”.

Weingarten hat in der Vergangenheit bereits großartige Integrationsarbeit geleistet. Wir liegen bereits bei 134% des Königsteiner Schlüssels, der die Aufnahme Geflüchteter und deren Verteilung auf die Kommunen regelt. Das zum Großteil von den beiden christlichen Glaubensgemeinden finanzierte Integrationszentrum ist ein Leuchtturmprojekt für Integration in Oberschwaben. Daher ist die Solidaritätserklärung aus unserer Sicht ein nächster Schritt und sehr wichtiges Zeichen um ein weltoffenes, tolerantes und buntes Bild unserer Stadt weiter zu zeichnen.  Auch ist es natürlich das Recht und, wie wir finden, sogar die Pflicht einer Kommune in einem föderalistisch-demokratischen System, ihre Wünsche und Anregungen an die nächste Instanz weiterzugeben. Kosten würde diese unsere Stadt nichts.

Dies sehen auch einige Initiativen und Gremien innerhalb der Stadt so. 

So wurde das Thema im Integrationsbeirat besprochen und für positiv bewertet. Dieser Beirat ist dazu da, den Gemeinderat über solche Punkte zu beraten. Auch der Jugendgemeinderat hat sich auf Antrag eines Mitglieds des Jugendgemeinderats mit dem Antrag befasst und sich mit großer Mehrheit und einem Appell an uns Stadträt*innen für die Solidaritätserklärung ausgesprochen. Den Vorwurf aus Reihen der Freien Wähler, wir hätten den JGR für unsere Sache missbraucht und instrumentalisiert, weisen wir entschieden zurück. Wären diese auf der Sitzung des JGR da gewesen, hätten sie gesehen, dass es nicht so war.

Auch die Steuerungsgruppe des Integrationszentrums mit ua Herrn Oberbürgermeister Ewald, den Vorständen der Caritas und den Pfarrern beider christlicher Glaubensgemeinden bekennt sich in einem Brief an die Fraktionsvorsitzenden zur Initiative und appelliert an uns Rät*innen, dem Antrag zuzustimmen.

Dass sich der Gemeinderat nun gegen die Solidaritätserklärung entschieden hat, müssen wir akzeptieren – das ist Demokratie – finden wir jedoch sehr traurig. Wir hoffen, dass wir in Zukunft wieder zu einer konstruktiven und sachlichen Debattenkultur im Gremium zurückfinden, das sich mit Themen inhaltlich befasst, um die Stadt weiter nach vorne in eine gute Zukunft zu lenken – und nicht nur gegeneinander schießt. Das führt nämlich zu nichts oder zu dem, was wir am Montag erlebt haben. Eine Debatte, für die sich der Gemeinderat schämen muss.

Eure Studis für Weingarten

Rede für die Fraktion: Ferdinand Ganter
Text: Roman Muth

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